Einheitliches EU-Kollisionsrecht für Todesfälle ab dem 17. August 2015
Am 16. August 2012 ist die EU-Erbrechtsverordnung in Kraft getreten. Sie harmonisiert für sämtliche EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme Dänemarks, Irlands und des Vereinigten Königreichs das Kollisionsrecht in Erbsachen nach dreijähriger Übergangsfrist für Todesfälle ab dem 17. August 2015. Das Kollisionsrecht entscheidet darüber, welche nationale Rechtsordnung auf einen Nachlass Anwendung findet, der Bezug zu mehreren Ländern aufweist, wenn z.B. der mit letztem Wohnsitz in Köln verstorbene Erblasser Ausländer war oder Vermögen im Ausland, etwa eine Ferienwohnung in Frankreich, besaß. Derzeit ist das Kollisionsrecht in den einzelnen Mitgliedstaaten höchst unterschiedlich geregelt. Während etwa in Deutschland, aber auch in Polen, Portugal und Spanien in der Regel das Recht der Staatsangehörigkeit des Erblassers maßgeblich ist, tritt beispielsweise in Belgien, Frankreich, Luxemburg häufig eine sog. Nachlassspaltung ein: für Immobilien gilt das Recht ihres Lageortes, für das sonstige Vermögen das Recht des letzten gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers.
Die Länderbeispiele verdeutlichen, welche grundlegenden Widersprüche bei Nachlässen mit Auslandsbezug schon innerhalb der EU bestehen und dass sich hieraus Anreize für Erben und sonstige Beteiligte ergeben können, Nachlassverfahren (z. B. den Antrag auf Erteilung eines Erbscheins) in demjenigen Mitgliedstaat eröffnen zu lassen, dessen Kollisionsrecht im Ergebnis zu einer höheren Erbquote führt (sog. forum shopping). Diesen Missstand beseitigt die EU-Erbrechtsverordnung zum 17. August 2015, indem sie festlegt, dass auf einen Nachlass mit Auslandsbezug grundsätzlich einheitlich das Recht des letzten gewöhnlichen Aufenthalts Anwendung findet und dass die dortigen Gerichte sowohl für die Ausstellung von Erbscheinen als auch für Streitigkeiten zwischen den Erben und sonstigen Berechtigten international zuständig sind.
Aus deutscher Sicht ergeben sich hieraus grundlegende Neuerungen:
1. Ausländer, die zum Todeszeitpunkt ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hatten – gleich, ob es sich um EU- oder Nicht-EU-Ausländer handelt – werden ab dem 17. August 2015 nach deutschem Recht beerbt. Ausnahmen hiervon kommen vor allem aufgrund von weitergeltenden bilateralen Staatsverträgen mit der damaligen Sowjetunion, der Türkei und dem Iran in Betracht.
2. Im Gegenzug gilt für deutsche Erblasser, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt nach Spanien oder Frankreich verlagern, das spanische bzw. das französische Recht – und zwar auch für in Deutschland gelegene Immobilien. Abgrenzungsschwierigkeiten können sich freilich dort ergeben, wo der gewöhnliche Aufenthalt nicht eindeutig bestimmbar ist, etwa weil der Erblasser einen Teil des Jahres in Deutschland und den anderen Teil in Spanien verbringt („Mallorca-Rentner“).
3. Um solche Ungewissheiten zu vermeiden und, ganz allgemein, um die Nachlassplanung zu flexibilisieren und zu liberalisieren, hat der europäische Gesetzgeber vorgesehen, dass man im Wege der letztwilligen Verfügung (also durch Testament oder notariellen Erbvertrag) das Recht seiner Staatsangehörigkeit wählen kann. In diesem Fall würde also für den von Köln nach Palma umgezogenen deutschen „Mallorca-Rentner“ das deutsche Recht anstelle des spanischen gelten. Eine solche Rechtswahl kann bereits vor dem 17. August 2015 wirksam getroffen werden.
Im Ergebnis ist die Erbrechtsverordnung ein Meilenstein auf dem Weg zu mehr Rechtssicherheit und privatautonomer Nachlassgestaltung in den 25 an diesen Rechtsakt gebundenen Mitgliedstaaten. Bemerkenswert ist, dass die Verordnung hetero- und homosexuelle Paare gleichbehandelt und in diesem Sinne auch die Nachlassbeteiligung eingetragener und sogar rein faktischer Lebenspartner erfasst, soweit das nationale (Erb-)Recht eine solche vorsieht. So ist zum Beispiel im slowenischen Erbrecht geregelt, dass auch dem über einen längeren Zeitraum unverheiratet und unverpartnert zusammenlebenden Partner eine Beteiligung am Nachlass des Erstversterbenden zusteht. Da die Verordnung das sog. materielle Erbrecht der Mitgliedstaaten unberührt lässt und lediglich bestimmt, welche nationale Rechtsordnung für einen Nachlass mit Auslandsbezug gilt, kann sich aus der Verordnung selbst indes keine Erbberechtigung ergeben. Vielmehr entscheidet weiterhin allein das nach der EU-Erbrechtsverordnung anwendbare nationale Erbrecht (des letzten gewöhnlichen Aufenthalts bzw. im Falle der Rechtswahl dasjenige der Staatsangehörigkeit) darüber, welche nahen Angehörigen in welcher Höhe erbberechtigt sind, welche Pflichtteilsrechte bestehen, in welcher Form Testamente und Erbverträge aufzusetzen sind, ob und inwieweit Testamentsvollstreckung angeordnet werden kann, wie eine Erbauseinandersetzung bzw. Nachlassabwicklung vollzogen werden kann, usw.
Eine genauere Beschäftigung mit der Thematik und notariellen Beratung über die neuen Gestaltungsmöglichkeiten empfiehlt sich insbesondere für bi-nationale Ehen und Partnerschaften, Personen mit Auslandsvermögen oder ausländischem Wohnsitz und/oder ausländischem Arbeitsort („Expats“). Eine aktuelle Prüfung der erbrechtlichen Situation ist vor allem deswegen sinnvoll, weil die EU-Erbrechtsverordnung heutzutage vermehrt die - früher häufig versperrte - Option eines Erbvertrages insbesondere für bi-nationale Ehegatten und Lebenspartner bietet.
Die EU-Erbrechtsverordnung regelt lediglich die Frage des anwendbaren Rechts und der internationalen Zuständigkeit von Gerichten und Behörden; dagegen lässt sie das Erbschaftsteuerrecht ebenso unangetastet wie das materielle Erbrecht der Mitgliedstaaten. Einen Überblick über das Erbrecht von 27 EU-Mitgliedstaaten bietet das Erbrechtsportal des europäischen Notariats, das unter www.successions-europe.eu in 23 Sprachen abrufbar ist.